Pflegeversicherung:
Einschränkende Klauseln bei der ambulanten Pflege Teil 3/3
Zunehmend wird erkannt, dass die private Pflegeversicherung immer wichtiger wird, es fehlt jedoch oft an der Orientierung, auf was man achten sollte und wie ein Tarif einzuschätzen ist. Ein Kriterium ist der Geltungsbereich, den der Analyst Bert Heidekamp und dem Wirtschaftsjuristen Paul Kosellek beleuchten. In dritten Teil ihres Beitrags wird die einschränkende Klausel bei ambulanter Pflege „zu Hause“ behandelt.
veröffentlicht im Versicheurngsjournal.de am 18.05.2017
Link:http://www.versicherungsjournal.de/vertrieb-und-marketing/einschraenkende-klauseln-bei-der-ambulanten-pflege-128918.php
Teil 1: Versteckte Fallen im Geltungsbereich
Teil 2: Was die weltweite Deckung unabwägbar macht
Teil 3: Einschränkende Klauseln bei der ambulanten Pflege
In der privaten Pflegeversicherung führt der Blick in die Versicherungs-Bedingungen oft nicht zu mehr Klarheit. So können die Klauseln zum Geltungsbereich einer Police im Fall des Falles viel Interpretations-Spielraum zulasten des Kunden offen lassen, wie bereits in dieser Beitragsserie berichtet wurde. In Teil zwei wurde dies am Beispiel der Klausel zur „weltweiten Geltung“ dargelegt. Im Rahmen der Neugestaltung und nach der allgemeinen Verständnissprache der Versicherungs-Bedingungen schleicht sich ein weiterer möglicher Nachteil ein.
Unklarheiten bei der Klausel „zu Hause“
Einige Versicherer erbringen die Leistung für eine ambulante Pflege nur, wenn die versicherte Person laut Bedingung „zu Hause“ gepflegt wird. Unklar ist jedoch, was mit der Verwendung dieser Umschreibung „zu Hause“ vom Versicherer gemeint ist. Das kann der Ort sein, an dem die versicherte Person ihre polizeilich gemeldete Wohnanschrift hat. Oder es ist der Ort, an dem der Lebensmittelpunkt ist (in der Regel nach sechs Monaten), die steuerlich maßgebende Adresse oder der Ort, mit dem das subjektive Wohlbefinden des Versicherten verbunden ist?
Drei Beispiele im Wortlaut
Wie Versicherer die Definition von „zu Hause“ in ihren Klauseln regeln, zeigen die nachfolgenden Beispiele:
Beispiel 1 :
„Häusliche Pflege liegt vor, wenn die versicherte Person zu Hause entweder durch eine erwerbsmäßig tätige Pflegefachkraft oder durch andere Personen (zum Beispiel Familienangehörige, Freunde, Nachbarn, sonstige ehrenamtliche Helfer) gepflegt wird.“
Beispiel 2:
„Tarif […] leistet 100 Prozent des vereinbarten Pflegetagegeldes bei ambulanter Pflege zu Hause für die Dauer der Zuordnung in Pflegegrad 2.“
Beispiel 3:
„Pflegemonatsgeld bei häuslicher Pflege .
Wir leisten das im gewählten Tarif für den versicherten Pflegegrad vereinbarte Pflegemonatsgeld bei häuslicher Pflege. Häusliche Pflege liegt vor, wenn die Pflege der versicherten Person zuhause entweder durch Laienpfleger (zum Beispiel durch Ehepartner oder Angehörige) oder durch einen ambulanten Pflegedienst erbracht wird und keine stationäre oder teilstationäre Pflegeleistungen im Sinne dieser Versicherungs-Bedingungen in Anspruch genommen werden.“
Es wird zur Auslegungssache
Ist in den Beispielen 1- 3 nur der Ort gemeint, an dem sich die versicherte Person zu Hause fühlt (die Wohnung, das Ferienhaus etc.)? Oder einfach nur der Ort, an dem sich die versicherte Person aufhält (zum Beispiel bei vorübergehender Pflege bei den Kindern, Enkelkindern oder anderen Personen)? Es könnte auch der Ort gemeint sein, an dem die versicherte Person amtlich gemeldet ist.
Ist der Versicherte zum Beispiel für maximal sechs Monate vorübergehend in einer Einrichtung (stationär, oder betreutes Wohnen, Reha-Einrichtung etc.) aufgrund einer Krankheit (schwerer Schlaganfall) oder durch einen Unfall untergebracht, könnte je Tarif statt einer ambulanten auch ein Anspruch auf eine stationäre Leistung bestehen, z. B. wenn der Versicherer u. a. auch eine Kurzzeitpflege anerkennt. Aber wenn das Wörtchen „könnte“ nicht wäre …
Handelt es sich jedoch nicht um eine anerkannte stationäre Einrichtung (siehe SGB XI) würde nur Anspruch auf eine ambulante Leistung bestehen (zudem muss i.d.R auch immer ein Versorgungsvertrag zwischen Einrichtung und Kasse bestehen). Durch die Verwendung des alleinigen Wortlauts „zu Hause“, könnte der Versicherer in Gänze leistungsfrei sein, wenn der Pflegebedürftige weder stationär noch „zu Hause“ gepflegt wird. Oder wenn der Pflegeort nicht der Lebensmittelpunkt und nur vorrübergehend ist.
Beweispflicht des Versicherungsnehmers
Im schlimmsten Fall könnte es denkbar sein – wenn der Versicherer damit eine örtliche Eingrenzung vornimmt und wenn auch vielleicht nur hypothetisch –, dass die versicherte Person beweisen muss, was im Sinne der Bedingungen des Wortlauts „zu Hause“ für ihn bedeutet.
Durch den Zusatz beziehungsweise den alleinigen Gebrauch des Wortlauts „zu Hause“ kann also der Geltungsbereich für die ambulanten Leistungen eingeschränkt werden – soweit dies nicht erklärt beziehungsweise konkretisiert wird, was damit gemeint ist.
Fehlende Konkretisierung
Verzichtet der Versicherer wie im Beispiel 1-3 auf eine Konkretisierung des Begriffs „zu Hause“, ist anzunehmen, dass der amtliche Wohnsitz gemeint ist. Das könnte bedeuten, dass die ambulanten Leistungen entfallen, wenn die versicherte Person ihren Aufenthalt von „zu Hause“ vorübergehend verlegt (zum Beispiel zur Pflege im Ausland bei grenznahen Regionen, zu einer vorübergehenden Pflege bei Nachbarn/Verwandten oder in Einrichtungen, die keine stationäre Anerkennung haben). Im schlimmsten Fall könnte dies auch längerfristig denkbar sein, wenn zwar die Pflege anderswo erfolgt, aber der amtliche Wohnsitz immer noch der alte bleibt (dies kann aus steuerlichen Gründen der Falle sein, aber auch der sozialrechtlichen Optimierung dienen).
Beispiel 4: Konkretisierung des Wortlauts „zu Hause“:
Ein Versicherer nutzt z.B. folgende Regelung:
„Die häusliche Pflege wird auch als ambulante Pflege bezeichnet. Bei ihr wird die versicherte Person zu Hause gepflegt. Als ihr zu Hause gelten:
- Die Wohnung oder das
- Haus, in dem die versicherte Person lebt.
- Ein Seniorenheim oder eine andere Einrichtung, in der sie wohnt.“
Bei dieser Konkretisierung kann man auch die Frage stellen, was unter „leben“ zu verstehen ist und unter „wohnen“. Probeweise wurden von uns einige Personen dazu befragt, was sie darunter verstehen. Die Ergebnisse waren alle gleich. Unter „leben“ wurde verstanden, dass es sich um eine dauerhafte, nicht absehbare Zeit handelt, „man lebt dort“. Somit wären vorübergehende Aufenthalte möglicherweise nicht versichert. Unter „Wohnen“ verstanden die Befragten, dass auch die polizeiliche Adresse dem zuzuordnen ist. In allen Fällen wurde bei den Befragten angenommen, dass eine vorübergehende Pflege an einem anderen Ort aufgrund dieser Klausel nicht versichert wäre.
Fazit
Weitere Regelungen könnten zwar den Versicherungsschutz erhöhen (zum Beispiel durch „versichert ist die Kurzzeitpflege“), was dennoch nicht alle zukünftigen Pflegemöglichkeiten oder -modelle berücksichtigt. Auch wenn der Versicherer versucht, in seinen Bedingungen eine Konkretisierung vorzunehmen, kann dies vom allgemeinen Verständnis abweichen und möglicherweise auch rechtliche Streitigkeiten hervorufen.
Es gilt aber zu verhindern, dass verwendete Wortlaute zu Rechtstreitigkeiten führen (zum Beispiel weil sie überraschende Interpretations-Möglichkeiten zulassen oder die spätere Rechtsprechungen die Ansichten eines Versicherers dazu verleiten lassen, Wortlaute und Bedingungen anders auslegen zu können). Man kann davon ausgehen, dass alles, was nicht als stationäre Leistung anerkannt wird, eine ambulante Leistung sein müsste. Es ist somit von Vorteil, die Umschreibung „zu Hause“ nicht zu verwenden, denn selbst bei einer Konkretisierung sind spätere Einschränkungen möglich. Zumal heute noch nicht erkennbare und vielleicht erst im Einzelfall sich bildenden Pflegemöglichkeiten oder -modelle vielleicht nicht mitberücksichtigt wären.
Betroffene Versicherer wurden von fairTest.de angeschrieben und über die Sichtweise informiert mit Bitte um Klärungen und Stellungnahme, ob auch eine Optimierung der Bedingungen möglich ist .